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Projekt "multivariate (=richtig smarte) Lüftungssteuerung"

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  •  cain
2.12.2023 - 28.10.2024
66 Antworten | 8 Autoren 66
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Liebe Community!

Nach 2 Wintern im neuen Haus und dem 3. vor der Tür mache ich mir Gedanken um die "bestmögliche" Raumluftqualität.

Aber was heißt "bestmöglich"?

1.) Es gibt einen Temperaturbereich, der als "behaglich" empfunden wird (wohl für jede/n etwas anders :) )
2.) Es gibt passend zur Raumtemperatur einen Luftfeuchtebereich, der als behaglich empfunden wird - sagen wir der Einfachheit halber 40-60% rel. Feuchte.
3.) Es gibt eine maximale CO2 Konzetration, (auch als Indikator für andere Luftverunreinigungen) die als "frische Luft" empfunden wird. Nennen wir hier mal als Obergrenze 1000ppm, die Untergrenze orientiert sich an der Außenluft mit 400ppm.

Für Punkt 1 ist die Heizung zuständig, bleiben die Punkte 2 und 3.

Hier habe ich, was meine aktuelle Marktkenntnis anbelangt, ein Problem mit fertigen Lösungen:
- Es gibt "fixed speed" Lüftungsanlagen bzw. solche, die vom Nutzer im Luftdurchsatz gesteuert werden
- Es gibt CO2 geführte Regelungen, die versuchen einen oder mehrere CO2-Sollwerte einzuhalten.

Mit Blick auf die 3 Kriterien behaglicher Raumluft ist eine reine CO2-Zielwertregelung m.E. aber nicht immer sinnvoll, denn:
- im Winter würde ein (CO2 bedingt hoher) Luftdurchsatz zum übermäßigen Absinken der rel. Luftfeuchte führen, wenn z.B. wenig gekocht wird.
- im Sommer würde ein rein CO2-geführter Luftaustausch zu einem übermäßigen Anstieg der relativen Luftfeuchte führen.
(Enthalpiewärmetauscher und Luftbefeuchter mal außen vor gelassen...)

Es muss jedoch nicht stur auf einen möglichst geringen CO2-Gehalt hingeregelt werden, denn innerhalb der Spanne von 400ppm - 1000ppm (oder 800ppm bei höchster Raumluftgüte nach Norm) gibt es eine Spanne, welche es erlauben würde, andere Parameter einfließen zu lassen.

Beispiel:
- Die Steuerung erfasst Temperatur, rel. Luftfeuchte und CO2 Gehalt.
- Es gibt einen Mindestluftdurchsatz (z.B. Luftwechsel zum Feuchteschutz wenn untertags niemand im Haus ist
- Es gibt eine maximalen Luftdurchsatz (z.B. Auslegungsfall für die Anlage)

So, jetzt regeln wir:

1.) CO2 Sensor in Abluft (oder Einzelraum bei weniger loftigen Grundrissen) misst die CO2 Konzetration.
2.) Lüftung wird per 0-10V Ausgang gemäß jeweiliger CO2-Konzetration angesteuert. Im einfachsten Fall nehmen wir mal eine Geradengleichung mit y = kx+d an, wobei d der Mindestluftwechsel ist.
3.) Gleichzeitig wird rel. Luftfeuchte der Abluft erfasst.
4.) Sinkt die Luftfeuchte unter 45%, so bekommt die Regelung aus Pkt. 2 einen Dämpfungsfaktor, umso stärker, je weiter die Feuchte unter den 45% liegt.
5.) Im Sommer könnte die Luftfeuchte auch ansteigen, also nehmen wir für Luftfeuchten > 60% ebenfalls einen Dämpfungsfaktor: Desto höher die rel. Feuchte über 60% liegt, desto geringer die Lüfterdrehzahl.
7.) Damit es hier nicht zu einem falschen Alarm kommt (z.B. feuchte Badluft) könnte noch die Raumtemperatur erfasst werden. Steigt diese ebenfalls an, so liegt's am schwülen Wetter draußen, sodass der Dämpfungsfaktor wirksam wird.

Nun haben wir eine Lüftungssteuerung, die innerhalb der Parameter Luftfeuchte versucht, die geringstmögliche CO2- Konzentration zu liefern.
(Jetzt könnte man noch hinzufügen, dass CO2 Konzentration über 1000ppm wiederum die Dämpfungsfaktoren außer Kraft setzt... das muss man dann wohl in der Praxis erproben, ob die Grenzen je nach Gebäudenutzung in die eine oder andere Richtung ausgereizt werden)

Warum das Ganze?
Weil für mich persönlich Raumluft mit 23°C, 50% rel. Feuchte und 800ppm CO2 angenehmer ist als Raumluft mit 23°C, 30% rel. Feuchte und 500ppm CO2.

Danke für alle, die bis hierher durchgehalten haben! :D

Nun zu meinen Fragen:
- Gibt es soetwas schon am Markt?
- Falls nicht, kann das mit einer TA UVR 16x2 realisiert werden? Von der Hardwareseite müsste es möglich sein, die UVR unterstützt Temp. und Feuchtesensoren und über den 4-20mA Eingang kann ein CO2 Sensor eingebunden werden. Der 0-10V DC Ausgang wäre prima für die Lüftersteuerung geeignet.
Aber schafft das Ding auch softwaretechnisch die modulierten Steuerkurven abzubilden? (Ich hab' mich in das TAPPS2 noch nicht eingelesen)

Ich freue mich über Feedback und Kommentare, auch, wenn sich das obige dann als Blödsinn herausstellen sollte!

Danke & LG
Aaron

 

  •  cain
26.10.2024  (#61)
Guten Abend,

sorry, dass ich mich erst jetzt melde - der Thread hatte ja ziemlich an Fahrt aufgenommen :) aber ich wollte mit Ergebnissen ankommen, also:

1.) Ich habe Leitwolf und einen wirklich fähigen TA-Programmierer engagiert
2.) Hardwareseitig wurden an die Abluft ein Schalldämpfer und eine Normfilterbox (Danke @Leitwolf) angebaut.
3.) in die Abluft kam ein Temperatur, Feuchte und CO2-Sensor. Wichtig, CO2-Sensor muss NDIR 2-Strahlig sein, sonst müsste er ständig kalibiert werden.
4.) Außen wurde ein TA Temperatur und Feuchtesensor in einem Strahlenschutzgehäuse (Sonneneinstrahlung) von einer Wetterstation verbaut
5.) Steuerungsseitig kommt eine UVR610 zum Einsatz, die ein 0-10V Signal an den Lüfter liefert.

Zu Pkt. 3 und 4: Es ist wichtig, möglichst unverfälscbte Temperatur und Feuchtewerte zu erhalten, da sowohl innen als auch außen die absolute Luftfeuchte in die Steuerung mit einbezogen wird.

Und so sieht das ganze aus:


_aktuell/20241026632997.jpg

Das System kennt mehrere Betriebszustände:

1.) Feuchte innerhalb der eingestellten Werte UND Co2 innerhalb der eingestellten Werte:
Lüfterdrehzahl wird nach Außentemperatur im Bereich ca. 90-150m³/h reguliert
2.) CO2 < unterer Schwellenwert: offenbar ist niemand zu Hause, Lüfter auf Feuchteschutz mit 60m³/h (Die Luftfeuchte soll Sommer wie Winter möglichst konstant gehalten werden)
3.) CO2 > oberer Schwellenwert: "Partymodus" mit > 200m³/h
4.) relative Luftfeuchte innen > eingestellte obere Schwelle (Sommer!) Wenn die absolute Feuchte außen größer ist als drinnen, dann wird die Lüftung analog Pkt. 2.) auf Minimum gestellt. Wenn die absolute Luftfeuchte außen geringer als innen ist (Sommernacht mit Ausnahme diesen August), dann wird das Luftvolumen zur Entfeuchtung auf einen eingestellten Fixwert (aktuell 180m³/h) erhöht. Für alle Werte sind Hysteresen einstellbar, da die Erfassung der absoluten Luftfeuchte relativ ungenau (+/-0,5-1g/m³) ist.
5.) Das gleiche gilt umgekehrt im Winter, wenn die Innnenluftfeuchte unter den eingestellten Wert sinkt, macht die Anlage genau das Gegenteil von Pkt. 4 und versucht so, die Luftfeuchte möglichst zu halten.

Was passiert nun, wenn z.B. der CO2 Level unter der unteren Schwelle (Abwesenheit) liegt, jedoch aufgrund von Duschen, Bügeln... davor eine hohe Luftfeuchtigkeit > obere Schwelle herrscht? Wenn es die klimatischen Bedingungen zulassen, wird entweder mit 180m³/h entfeuchtet oder mit 60m³/h konstant gehalten.
D.h. Feuchtemanagement hat zwecks Bautenschutz Vorrang vor CO2 Management. Fensterlüften kann man ja trotzdem immer noch :)

Ein angenehmer Nebeneffekt der reinen Abluftanlage ist, dass im Gebäude immer ein (nicht spürbarer) Unterdruck von ca. 1-2Pa herrscht. Dadurch kann keine feuchtwarme Luft in Fensterfälzen oder anderen Undichtigkeiten (die vielleicht erst in 10, 20 Jahren kommen) kondensieren.

Alles in allem war das ein tolles Projekt, das den Wohnkomfort deutlich gesteigert hat, möglicherweise sogar mehr als manche Standard KWL KWL [Kontrollierte Wohnraumlüftung]-Lösungen.
Da alle Parameter, von Luftmengen über Grenzwerte bis hin zu Hysteresen frei konfigurierbar waren, konnte ich mich das Jahr über gut an die idealen Werte bei unserer aktuellen Nutzung des Hauses herantasten.

Würde ich es mit heutigem Wissen nochmals genauso machen?

Nein.
Ich würde die Steuerung oben mit einer vollwertigen Leitwolf-KWL verknüpfen.

edit: Es gibt noch ein ToDo: Der Abluft-Sensor ist ein relativ teures Modell mit hoher Präzision, der TA-Außen Temp/RF Sensor ist dagegen sehr ungenau und liegt bei der Temperatur 3°C daneben. Daher stimmt auch der Bezug zwischen Außentemperatur -feuchte und absoluter Außenfeuchte nicht. Wird dzt. in der Steuerung "gebiased".

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  •  taliesin
  •   Gold-Award
27.10.2024  (#62)
Sieht alles cool aus ...
Darf ich fragen was das in Summe ca. gekostet hat?

1
  •  Pedaaa
  •   Gold-Award
28.10.2024  (#63)
Hallo,
scheint sehr gut umgesetzt zu sein. 👌 👏

bzgl. Fühler kann ich dir folgendes Empfehlen:
Die Messungen würde ich nach meiner Erfahrung nun immer mit Kanalfühlern machen.
Also einmal im zentralen Abluft-Rohr (hast du ja eh schon) und einmal Außenluft-Ansaugung.

Hier z.B. den Epluse Fühler EE850 verwenden. 
Das ist ein Qualitätsprodukt, verwenden viele Hersteller auch mit OEM-Branding. Also kein typisches, billiges China-Teil.
Den gibts optional als 3-Fach Kombi Sensor mit CO2, Luftfeuchte und Temperatur.
Wahlweise auch mit Modbus-Ausgang.
CO2 kalibriert sich selbst.

Und als Backup-Wert, z.B. wenn die KWL KWL [Kontrollierte Wohnraumlüftung] mal ausgeschaltet sein sollte, noch 2x die günstigeren TA RFS-DL Feuchte/Temp. Fühler. Also einmal Innen, und einmal Außen. (oder mehrmals Innen, wenn das Haus genauer abgebildet werden soll)

1
  •  tjet
  •   Bronze-Award
28.10.2024  (#64)

zitat..
Pedaaa schrieb:

Also einmal im zentralen Abluft-Rohr (hast du ja eh schon) und einmal Außenluft-Ansaugung.

Kann der Fühler auch nach dem Enthalpiewärmetauscher angebracht werden oder macht es vorher mehr Sinn? Ich müchte auch in nächster Zeit eine intelligente Regelung umsetzen, um die im Haus eine geringere absolute Luftfeuchte zu erreichen.


1
  •  cain
28.10.2024  (#65)
@­taliesin: Die für die Steuerung notwendige Hardware (UVR, CMI-Interface, Sensoren, Poti+Relais für Failsave-Betrieb etc. + Einbau, Verkabelung) und Software (Programmierung nach meinen Vorgaben) haben ca. €2.600 brutto gekostet.

@Pedaaa: Danke - ich glaube, ich habe einen ganz guten Kanalfühler, zumindest sind die CO2-Werte immer sehr reliabel. (z.B. Bandbreite, wenn niemand zu Hause ist oder beim Stoßlüften)
Meine Velux Netatmo Steuerung, die ich vorher für die Dachflächenfenster hatte, hat beim CO2-Wert deutlich mehr gewürfelt.

Falls die Steuerung ausfällt, schaltet ein Relais vom 0-10V Ausgang am UVR auf die 10V Spannung des Lüfters um und liefert eine per Poti eingestellte Spannung zwischen 0 und 10V für die Drehzahl.
D.h. auch bei Software oder Systemabsturz etc. läuft das DIng, solange nur Strom da ist.
Das war mir wichtig, da wir in unseren Holz-Alufenstern Fensterfalzlüfter haben, d.h. über diese sollte immer nur Zuluft kommen und im Winter niemals feucht-warme Raumluft eindringen.
Das lässt sich im Screenshot oben auch ohne Systemabsturz auslösen, wenn man auf "auto" klickt und damit "Handbetrieb" aktiviert.

Das System läuft bis ca. 150m³/h unhörbar, bis 180m³/h im Schlafzimmer unhörbar und erst ab ca. 200m³/h hört man es deutlich. Hier ist sicher der einseitig beplankte CLT-Wandaufbau ohne Installationsebene bei den betroffenen Innenwänden (wenig Schallschutz) in Kombination mit der bereits recht hohen Lüfterdrehzahl (es ist wie gesagt der kleinste Systemair KVK 100 EC) verantwortlich.
Der Lüfter schafft lt. Hersteller ca. 300m³/h und bei uns gemessene 295m³/h.

Wenn so viel Frischluft gebraucht wird, können wir dank offenem Stiegenhaus einfach 5 Dachflächenfenster und 3 Terrassentüren öffnen oder Querlüften.

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  •  taliesin
  •   Gold-Award
28.10.2024  (#66)
Aha, eigentlich ziemlich günstig ... da hat der Programmierer nicht allzuviel genommen.

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